R3008

Unter dieser Signatur verwahrt die National- und Universitätsbibliothek Zagreb (kurz NSK) Janko Polić Kamovs Manuskript, und ich frage mich, nachdem ich es komplett durchgesehen habe, wieso dieser Roman unter dem Titel Isušena kaljuža bekannt ist.

Auf dem Manuskript steht nur Kaljuža, und das – ohne Gewähr, ich bin keine Handschriftenexpertin, ich habe aber immerhin Augen im Kopf – nicht von Kamovs Hand. Woher kommt der Titel, wie kam insbesondere das „isušena“ hinzu? Gibt es dazu etwas im Briefwechsel, etwa mit dem Bruder? Oder war es eine Entscheidung des Herausgebers Tadijanović, weil Sumpf/Morast/Schlammloch (so ungefähr der Bedeutungsumfang von kaljuža) doch ein bisschen abschreckend klingt?

Tja, kaum habe ich die eine oder andere Frage geklärt, stellen sich mir neue, mindestens genauso wichtige …

Lesesaal der Handschriften- und Rara-Abteilung der Nationalbibliothek. Weil man nichts aus ihren Beständen ohne Genehmigung veröffentlichen darf (und sich das Einholen derselben recht kompliziert anhörte), hier nur ein ferner Blick auf das Manuskript; es liegt hinter der gläsernen Abtrennung.

Einer meiner Hauptgründe für die Reise nach Zagreb war die Frage nach der Zuverlässigkeit der Edition, die ja keine kritische Ausgabe ist. Und ich kann beruhigt feststellen, dass sie ziemlich treu ist.

Es gibt allerdings Eingriffe in den Text. Etwa der zweite Satz:

On je bio dobio plućni katar

Janko Polić Kamov: Isušena kaljuža, eLektire.skole.hr, S. 4

lautete ursprünglich (bitte immer mitbedenken: die Korrekturen wurden direkt über Kamovs Schrift geschrieben, ich kann nicht zu 100% garantieren, dass ich sein Original richtig entziffere):

On se je bio zadobio plućnoga katara

Janko Polić Kamov: Isušena kaljuža, Manuskriptseite 1

Also statt „Er hatte einen Lungenkatarrh bekommen“ eher „Er hatte sich einen Lungenkatarrh eingehandelt“ (was ich vermutlich in meinen Text übernehmen werde). Der Eingriff läuft auf eine behutsame Entschlackung hinaus und vermutlich auch auf eine behutsame Modernisierung.

Insbesondere letzteres vermute ich auch, wenn aus „da pijača za katar ugodno djeluje“ (Msk.) „da pijača na katar ugodno djeluje“ (aaO, Hervorhebung von mir) wird. Derlei Feinheiten wirken sich auf die Übersetzung nicht aus.

Dann gibt es Korrekturen, die Fehler beheben. Kamov hatte z.B. das „je“ vergessen und nur „Onda počeo izlaziti“ geschrieben.

Ohne dergleichen Klein-klein weiter aufzuzählen – für mich war es ein Höhepunkt dieser Reise. Das Manuskript werde ich als Scan auf einer CD (gegen einen allerdings erklecklichen Obulus) mit nach Hause nehmen dürfen und kann dann, was mir komisch erscheint, damit abgleichen.

Für mich oder genauer für die Übersetzung war der Ausflug in die NSK sehr aufschlussreich. Bei vielen Detailfragen habe ich Anhaltspunkte bekommen, in welche Richtung es geht – gerade an kniffligen Stellen hat Kamov selbst herumkorrigiert, etwa bei den Junifröschen, die vom Katzengeschrei angekündigt werden.

Außerdem finde ich es spannend zu sehen, wie er im Schreiben Gedanken eine Umdrehung weiter geschraubt hat. Beispiel von Manuskriptseite 219:

Naša je duša praznina puna tereta

Janko Polić Kamov: Isušena kaljuža, eLektire.skole.hr, S. 178

Die praznina hat er später einfügt. Ohne sie ist der Satz die eher banale Feststellung „Unsere Seele ist voller Ballast“ und mit der Ergänzung wird daraus „Unsere Seele ist eine Leere voller Ballast“. Das Aufmachen von widersprüchlichen Gegensatzpaaren, der rhetorische Fachausdruck heißt Oxymoron, ist eine seiner Lieblingsstilfiguren.

Und – man sieht dem Manuskript dann doch persönliche Verfasstheiten an. Eine Stelle, die eine heftige Auseinandersetzung beschreibt, zeigt diese Heftigkeit in der Schrift – sie wird größer und ungleichmäßiger. Der Autor war eindeutig emotional bei der Sache. So gleichmäßig und diszipliniert, wie ich ursprünglich dachte, ist das Manuskript nicht.

Last not least: Ich sehe, dass die beiden Fortsetzungsfolgen U šir / u vis ursprünglich nicht geplant waren. Denn Kamov schrieb „Ende“ unter den zweiten Teil von Na dno, dazu Ort und Datum der Fertigstellung, und das alles bekräftigte er mit seiner Unterschrift.

Und noch ein Detail, buchstäblich am Rande: Auf Seite 204 des Manuskripts hat Kamov – vermutlich war er es – einen Abdruck von seinem Daumen hinterlassen. Tabakbraun, als hätte er wie sein Romanheld nonstop geraucht.

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