Ein frappierender Ausdruck, eine Wortfügung wie mit winzigen Widerhaken. Es klingt so normal, wäre unauffällig, wenn ein zugehöriges Substantiv folgte. Seine geliebte Frau ist etwas anderes als seine Geliebte. Dabei sagt keine der beiden Varianten etwas über das persönliche Verhältnis von ihm und ihr aus. Der Unterschied liegt im gesellschaftlichen Status.
Solche Überlegungen sind übersetzerisch relevant. Es erklärt, warum uns der Ausdruck mit Mach2 ins 19. Jahrhundert oder noch weiter zurück katapultiert. Männer durften sich eine Mätresse halten. Das setzte einen gewissen Wohlstand voraus und hatte damit sogar etwas Vornehmes. Vergleichbare Verhältnisse wird es heute noch geben, aber die Mätresse ist keine Institution mehr. Das und nur das verleiht dem Syntagma „seine Geliebte“ den nostalgischen Touch. Schließlich interessieren beim Literaturübersetzen weniger die realen Verhältnisse als literarische Unwägbarkeiten.
Zu den Unwägbarkeiten gehört, dass so manche Geliebte durchaus innig geliebt wurde und mehr persönliche Wertschätzung erlebte als die in der sozialen Hierarchie über ihr stehende Gattin. Und dann natürlich die Künstler, ob Hungerleider mit schwindsüchtigen Musen à la La Bohème oder Malerfürsten wie Gustav Klimt oder Ferdinand Hodler, der das Sterben seiner Geliebten, Valentine Godé-Darel, ergreifend schön in Zeichnungen und Gemälden festhielt.
Das war auch der Zusammenhang, in dem ich über den Ausdruck stolperte, ich lese gerade von Bettina Hitzer Krebs fühlen. Eine Emotionsgeschichte des 20. Jahrhunderts, 2020 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Und sensibilisiert für das Thema hat mich wohl, dass ich für den Berliner Guggolz Verlag zum ersten Mal einen historischen Text von einem toten Autor übersetzen werde: Janko Polić Kamovs posthum veröffentlichtes Hauptwerk Isušena Kaljuža.