Sagte ich es schon? Die Wohnung, in der ResidenzstipendiatInnen des DHKP untergebracht sind, liegt am trg kralja Petra Svačića. Und der König, nach dem der Platz heißt, wirft in dem Roman, wegen dem ich hier bin, ein Problem auf.
Denn Peter Svačić ist als letzter König der Kroaten kroatischer Abstammung. Er fiel 1097, lange vor den nationalen Strömungen und Unabhängigkeitsbestrebungen, die im 20. Jahrhundert die Geschichtsschreibung beeinflussten.
Petar Svačić fiel in einer Schlacht gegen die Ungarn, und von da bis ins 19. Jahrhundert regierten ungarische Könige das Land oder mehr oder minder große Teile davon und mehr oder minder unabhängig von wiederum anderen Herrschern. Diese Details sind für den Punkt, um den es mir hier geht, unwichtig.
Wichtig ist, dass das Ende einer kroatischstämmigen Herrschaftsdynastie zum Stachel im Bewusstsein nationalbewegter kroatischer Historiker wurde. Janko Polić Kamov verarbeitet diese Strömung neben vielen anderen Themen in seinem Roman Isušena kaljuža.
Ausdrücklich nennt er Tade Smičiklas‘ Geschichte Kroatiens (Poviest Hrvatske), die in zwei Bänden im Verlag der Matica Hrvatska in Zagreb erschien: 1882 „von den ältesten Zeiten bis 1526“, 1879 „vom Jahre 1526 bis 1848“.
Polić-Kamov beschreibt den Romanhelden als einen, der in sehr jungen Jahren gegen die Ungarn und für ein einiges, unabhängiges Kroatien, also nationalbegeistert war und sich fleißig in die kroatische Geschichte einlas. Und dann schreibt er einen seiner typischen sarkastisch-ironischen Sätze:
U to naime doba čitam Smičiklasovu povijest: ja sam tek kod kraljeva narodne krvi.
Janko Polić Kamov: Isušena kaljuža, eLektire.skole.hr, S. 123
Also wörtlich übersetzt: „Zu der Zeit nämlich lese ich Smičiklas‘ Geschichte: Ich bin erst bei den Königen nationalen Blutes.“
Nationalen Blutes. Da schrillen Alarmglocken. Blut und Boden, völkisches Gedankengut – in diesen Dunstkreis gehört Kamov nicht. Er kommt aber aus diesem Milieu. Weswegen er die Väter bezichtigt, sie hätten ihre Steuern an die Spezies nicht bezahlt …
Ich bin versucht, die Übertragung der zeitgenössischen Ausdrucksweise für einen hoffnungslosen Fall zu erklären und das Problem zu umschiffen: „Über Petar Svačić war ich noch nicht hinausgekommen.“
Andererseits ist die Ausdrucksweise mit dem Volksblut – damit könnte man narodne krvi nämlich auch oder vielmehr schon gleich gar nicht übersetzen – mehr als folkloristisches Kolorit oder veralteter Wortschatz: In ihr manifestiert sich eine politische Haltung, die Kamov umtreibt.
Wenn ich „narodne krvi“ durchscheinen lassen will, ohne es buchstäblich beizubehalten, gibt es zwei Stellschrauben: narodne und krvi, national/völkisch und Blut.
Krv heißt Blut und ist kein bisschen zweideutig. Aber ich könnte ein etwas weniger martialisch tönendes Wort aus dem damaligen Diskurs nehmen und krv damit substituieren: etwa loza, die Weinrebe, der Stamm.
Narodne ist das Adjektiv von narod, Volk, Stamm (aber nicht wie bei loza im Sinn von Baumstamm) oder eben Nation; die ersten beiden Möglichkeiten scheiden definitiv aus, und die dritte wird in der Verbindung mit Blut schon grauslich.
Vielleicht lässt sich was mit einheimisch stricken? Oder mit kroatisch? … bei den Königen kroatischen Blutes?
Vielleicht sollte ich „nationalen Blutes“ in der brutalen Deutlichkeit nehmen und meinen LeserInnen zutrauen, dass sie die Entstehungszeit des Romans 1906-1909 im Kopf haben und eben keine Assoziationen zu dem völkischen Gehubere der Nazis entwickeln.
Oder ich vertraue darauf, dass der restliche Roman die nationalistische Stimmung einiger Zeitgenossen hinreichend transportiert und die Übertragung von „kraljeva narodne krvi“ mehr Irrtumspotenzial als Erkenntnisgewinn enthält.
So viel dazu aus der Küche des DHKP … In mir gärt es weiter …
PS. Im kroatischen Wikipedia-Eintrag zu Petar Svačić heißt es: Bio je posljednji hrvatski kralj narodne krvi. Er war der letzte kroatische König nationalen Blutes.