Un certain Certon

Wir schreiben das Jahr 1604 und mischen uns unter die Höflinge des Königs von Navarra, der inzwischen Frankreich regiert. Henri IV. hat noch sechs Jahre zu leben, er ist 51 Jahre alt, ein Jahr jünger als Salomon Certon. Der widmet ihm seine Übersetzung der Odyssee, unterstellt sich seinem Schutz.

Quasi von König zu König: L’odyssee d’Homere

Und jetzt gehen wir in eine Pariser Druckerei. Ihre Adresse: An der ersten Säule vom großen Schlosssaal. Dort treffen wir Abel l’Angelier, Drucker, Buchhändler und Verleger in der damals üblichen Personalunion. Er hat ein königliches Privileg besorgt, das ihn zehn Jahre lang vor Raubdrucken schützen soll. Das kommt auf die letzte Seite.

Die Staatsbibliothek in Berlin besitzt ein Exemplar der Odyssee von 1604. In Pergament gebunden. Eine echte Rarität. Certon hat seine Übersetzung überarbeitet und 1615 noch einmal erscheinen lassen. Danach wurde sie nie wieder gedruckt.

Ich verschiebe die Auseinandersetzung mit Certons Übersetzung auf nächsten Freitag. Heute beschäftige ich mich erst einmal mit dem physischen Objekt, das ein Buch selbst in E-Book-Zeiten immer auch ist – ohne Reader kein Leser.

Samuel Certons Übersetzung der Odyssee 1604, Blick in die Verbindung von Buchblock und Bucheinband.

1604 existierten offenbar noch solche Massen von Handschriften, dass man die wertvollen Pergamentblätter zerschnitt und an Stellen, wo es nicht zu sehen war, zur Verstärkung der Bindung nutzte. Hier ist sie nur deshalb zu sehen, weil das Vorsatzblatt gelöst wurde. Wieso, das zeigen Fraßspuren – der Wurm war am und im Werk! Oder musste das Buch als Zielscheibe für Kleinkaliber herhalten?

Das Bohrloch beginnt auf dem vorderen Buchdeckel uznd zieht sich bis Blatt 217 durch.

Blatt 217: Die Paginierung zählt nicht die Seiten, sondern tatsächlich die Blätter. Eine Zahl oben auf der rechten Seite gilt auch für deren Rückseite, d.h. man muss zwischen recto und verso unterscheiden, vorne und hinten.

Wörter sind innerhalb weniger Zeilen unterschiedlich geschrieben: peyne / peine. Mindestens einmal wechselt der Kolumnentitel erst beim dritten Blatt – Kapitel 16 hat schon angefangen, aber auf S. 224v steht noch Kapitel 15. Einmal ist die Seitenzahl unvollständig, statt 259 steht nur 25 da.

Es ist eben ein Unterschied, ob man eine Datei ändert oder den Satz einer ganzen Seite wieder aufschnüren und korrigieren muss.

Typischer Kapitel- bzw. Buchanfang: Vignette, Kapitelzahl, Argument, Autre sommaire, Textbeginn von Initiale markiert. Die Buchstaben-Ziffern-Kombination rechts unten ist eine Hilfe für den Buchbinder, um die Lagen in die richtige Reihenfolge zu bringen.

Der Druck ist schlicht gehalten, nur die Anfangsseiten der 24 Bücher der Odyssee sowie das Titelblatt sind verziert, der Titel mit einem Homerbild, die Kapitelanfänge mit einer Vignette – es sind insgesamt drei oder vier, die immer abwechselnd genommen werden – und zwei Initalen, eine kleinere für den Anfang des Arguments (die Inhaltsangabe), eine größere für den Anfang des Textes nach der „anderen Zusammenfassung“ (autre sommaire).

U und V sind austauschbar, beide Zeichen werden für beide Laute verwendet, das ändert sich erst ein Jahrhundert später. Auch dass obligatorisch eine Widmungsrede vorangestellt wird, ändert sich erst im 18. Jahrhundert.

Alle Bilder des Exemplars habe ich in der Staatsbibliothek Berlin aufgenommen.

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