Der eine hat Blut geleckt und will den lukrativen Erfolg seiner Illias-Übersetzung wiederholen, der andere wärmt sich die alten Knochen am Kaminfeuer und übersetzt zum Zeitvertreib nebenher Ilias und Odyssee – da kreuzen zwei sehr unterschiedliche Charaktere auf dem Feld der Übersetzung die Klinge. (Gänsekiel?)
Thomas Hobbes (1588-1679) war tot, bevor Alexander Pope (1688-1744) geboren wurde, das mit dem Duell wird also schwierig. Pope ließ kein gutes Haar an Hobbes‘ Übersetzung, Hobbes hat sich naturgemäß zu Popes Homer-Versen nicht geäußert.
Tell me, O Muse, th‘ advantures of the man
That having sack’d the sacred town of Troy,
Wander’d so long at sea ; what course he ran
By winds and tempests driven from his way :
That saw the cities, and the fashions knew
Of many men, but suffer’d grievous pain
To save his own life, and bring home his crew ;
Though for his crew, all he could do was vain,
They lost themselves by their own insolence,
Feeding, like fools, on the Sun’s sacred kine ;
Which did the splendid deity incense
To their dire fate. Begin, O Muse divine.
(Thomas Hobbes)
The man for wisdom’s various arts renown’d,
Long exercised in woes, O Muse! resound;
Who, when his arms had wrought the destined fall
Of sacred Troy, and razed her heaven-built wall,
Wandering from clime to clime, observant stray’d,
Their manners noted, and their states survey’d,
On stormy seas unnumber’d toils he bore,
Safe with his friends to gain his natal shore:
Vain toils! their impious folly dared to prey
On herds devoted to the god of day;
The god vindictive doom’d them never more
(Ah, men unbless’d!) to touch that natal shore.
Oh, snatch some portion of these acts from fate,
Celestial Muse! and to our world relate.
(Alexander Pope)
Es gibt Gemeinsamkeiten: Beide reimen, beide werden länger als die Vorlage, beide setzen die Interjektion O vor die Muse, beide wiederholen Muse in der letzten Zeile (im Urtext oben μοῦσα, unten θεά, θύγατερ Διός), beide nutzen aus metrischen Gründen Apostrophe, und das Englisch hat sich trotz hundert Jahren Differenz auch nicht grundstürzend geändert.
Übrigens ist auch keiner der beiden Autoren ausschließlich oder überhaupt als Übersetzer bekannt. Ihr Ruhm gründet auf eigenen Werken.
Und doch, welch ein Unterschied!
Wo Pope in weit ausholenden Sentenzen verbal die Schwingen spreizt, schreitet Hobbes eher nüchtern-schlicht voran.
Rhetorisch wie prosodisch rüstet Pope auf bis zum Overkill. Seine komplex-verschachtelten Satzprojektile halten die Stimme über weite Strecken oben. Es braucht einen langen Atem, bevor sie zum Punkt hin wieder sinken darf, denn die Satzmelodie überspannt mehrere Zeilen mit einem weiten Bogen.
Und rhetorisch: Sein Odysseus ist nicht einfach listig, klug oder weltgewandt, o nein: er ist für „der Weisheit verschiedene Künste bekannt“. Von „lang geübtem Kummer“ umgetrieben „wandernd von Gefilde zu Gefilde“ bleibt für etwas so prosaisches wie Abenteuer kein Platz.
Hobbes erzählt eine Abenteuergeschichte. Unprätentiös. Zumindest auf den ersten Blick.
Sicher auch ein wenig unbeholfen. Die Briten jedenfalls scheinen sich einig: Es gibt bessere Übersetzungen als die von Hobbes. Mir als Nichtmuttersprachlerin fällt maximal das knew in der Zeile That saw the cities, and the fashions knew auf. Das hat er an eine andere Stelle gestellt, als es von der Grammatik her hingehörte, des Reimes wegen.
Pope ist da eleganter, flüssiger. Des Reimes wegen wird bei ihm aus dem Sonnengott der Gott des Tages, was inhaltlich zwanglos passt. Ob er deshalb aufs hohe Ross steigen und Hobbes Übertragung dissen darf?
Für meinen Geschmack verwendet Pope zwei, drei Ausrufezeichen zu viel, und die Einlassung Ah, men unbless’d! hätte er sich ruhig verkneifen können.
Hobbes Übersetzung ist mir von der Tonlage her näher. Aber es gibt ein Aber. Ich komme darauf zurück.
PS. Wikipedia meldet, Pope hätte für die Odyssee heimlich zwei Kollegen ins Boot geholt, anscheinend mochte er sich nach der Illias-Übersetzung nicht noch einmal so ein Mammut-Werk antun …