Plein de peine & peyne

Es werde, schreibt Certon in seiner Vorrede zur Ausgabe 1615, dem Ruhm anderer Homer-Übersetzer nicht schaden,

Si je faisois qu’on vist Achille, et son germain
Ulyses, par la France aller de mesme main

Salomon Certon: Les Œuvres d’Homère prince des poètes assavoir … L’Odyssée cy devant imprimée, a esté de nouveau et exactement reveue et corrigee par le Traducteur. Paris: Thomas Blaise 1615

Salopp übersetzt: wenn ich dafür gesorgt habe, dass Achilles und sein Vetter Odysseus aus einer Hand durch Frankreich laufen. Certon war mit diesem Gespür für die Bedeutung einer Übersetzung aus einem Guss seiner Zeit voraus. Ebenso mit seiner für das Original offenen Herangehensweise, die mehr auf den Text in der Ausgangssprache gibt als auf die Interpetationen früherer oder auch zeitgenössischer Übersetzungen ins Französische oder Lateinische.

Wie sehr sich sein Ansatz von dem seiner unmittelbaren „Konkurrenten“ unterscheidet, hat Christiane Deloince-Louette in ihrem Aufsatz L’Homère de Salomon Certon: une traduction „protestante“ auch am Beispiel der ersten zehn Zeilen herausgearbeitet, deswegen werde ich das an dieser Stelle nicht noch einmal tun.

Vignette aus dem Druck von 1604, aufgenommen in der Staatsbibliothek Berlin

Stattdessen ein Vergleich der beiden Fassungen, die Certon 1604 und 1615 vorgelegt hat – mehrere Zeilen hat er neu geschrieben. In der ersten Zeile ist das raconte moy (erzähle mir) durch dy moy qui fut (sag mir was machte) ersetzt, wohl um näher an die Grammatik der Zielsprache zu kommen, raconte moy l’homme klingt auf Französisch offenbar genauso seltsam wie erzähl mir den Mann auf Deutsch.

Zeile 6 bis 10 unterscheiden sich komplett. Statt von Gefährten ist von Soldaten die Rede, statt von Leben retten von den Tod abwenden. Er hat das ineinanderfließende plein de soin et de peyne infinie durch eine klare Zäsur – conserver sa vie, il eust peine – ersetzt. Und er hat eine Verletzung des Versschemas korrigiert.

Womit wir, wie versprochen, beim Alexandriner wären: Paarweise gereimt, zwölf bis 13 Silben je Zeile, Betonungen, Hebungen, Senkungen alles egal. Klare Zäsur auf der sechsten Silbe, nicht unbedingt bei der Sinneinheit, aber das Wort sollte nicht in die nächste Hälfte überlaufen.

Und genau das schafft Zeile 6 in der Fassung von 1604 nicht; das bre von nombre ist die siebte Silbe.

Muse raconte moy l’homme fin & rusé
Qui si long temps erra, depuis qu’il eut rasé
Le sacré mur de Troye, & d’hommes & de villes
Remarqua les façons farrouches & civiles,
Il eut en son esprit en courant sur les mers​
Des douleurs en grand nombre, & des travaux amers
Pour garder plein de soin & de peyne infinie
Sa vie, & ramener ceux de sa compagnie.
Mais pourtant quoy qu’il fist pour ses gens conserver,
Il y perdit sa peine, & ne les peut sauver:
Car les mal advisez, par leur faute perirent,
Méchans, qui au Soleil tournant la haut se prirent,
Et mangerent se bœufs. Partant de leur retour
Apollon leur osta le desirable jour.
Fille de Iuppiter, Deesse (si ie t’ose
Enquerir) conte moy de cecy quelque chose.

Certons Übersetzung der Anrufung 16o4

Muse dy moy qui fut l’homme fin & rusé
Qui si long temps erra, depuis qu’il eut rasé
Le sacré mur de Troye, & d’hommes & de villes
Remarqua les façons farrouches & civiles,
Il eut en son esprit, en courant sur les mers​
Maints travaux angoisseux, et maints soucis amers,
Pour conserver sa vie, il eust peine tres-grande
À garantir de mort les soldats de sa bande,
Et faire que chez eux ils peussent arriver,
Mais quelque effort qu’il fist il ne les peust sauver:
Car les mal advisez, par leur faute perirent,
Méchants, qui au Soleil tournant là haut se prirent,
Et mangerent ses beufs. Partant de leur retour
Apollon leur osta le desirable jour.
Fille de Iuppiter, Deesse (si ie t’ose
Enquerir) conte moy de cecy quelque chose.

Certons Übersetzung der Anrufung 1615

Alle anderen Unterschiede zwischen beiden Ausgaben betreffen Schreibweisen, die nicht auf Certon zurückgehen müssen, sondern eher den Setzern zuzuschreiben sind.

Literatur

Christiane Deloince-Louette: L’Homère de Salomon Certon: Une Traduction ‚protestante‘. In: Silvia D’Amico, Sabine Lardon (Hg.): Homère en Europe à la Renaissance : traductions et réécritures, Chambéry : Université de Savoie Mont Blanc 2017

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