Nobody

Er sei Outis, sagt Ulisses zum Kyklopen, Otis/Odyss oder Utis/Ulyss: genuschelt kommt’s auf eins raus. Für die Übersetzung ein schier unlösbares Problem. „Niemand hat mir das Auge ausgestochen!“, beschwert er sich später und hat zum Schaden noch den Spott: der ἄνερ πολύτροπος, wie er leibt und lebt, der listenreiche Odysseus in Hochform, oder war es Homer? Denn Odysseus ist wirklich no body, eine literarische Gestalt, körperlos, nie Mann gewesen.

Penelope bedeutet Gewebtes auftrennen, ein sprechender Name, der in Übersetzungen verstummt.

Niemands Frau, schreibt Barbara Köhler und verpaart Muse und Polytrop mit Leerzeichen Doppelpunkt Leerzeichen (vgl. Barbara Köhler: Niemands Frau, Ffm ²2012, S. 10) und schreibt Polymorphem, wo der Kyklop doch Polyphem heißt (aaO. S. 16).

Frauen, schreibt sie, verschwinden ab 1700 in Lücken, die zwischen konkurrierenden Übersetzungen, Interpretationen und Nacherzählungen großmäuliger Männer aufrissen, Männer, die Odysseus und Homer in Heldenhaft nahmen (aaO. S. 84), heldenhaft bei ihr kleingeschrieben, weil sich ihre Groß- und Kleinschreibung nicht an grammatischen, sondern binnenlyrischen Notwendigkeiten orientiert und das lesende Hirn auf einen Schlingerkurs zwischen Erwartung und Verstehen schickt.

Sage mir muse, schreibt sie und will wissen: wer Es ist, und dann folgt: was. Es ist was, schreibt sie und stört die Satzstruktur wieder: Es ist was Er wer (aaO. S. 10).

Wer war Homer? Wär wichtig, ebenso: was oder wer ist (/bin, ein, das?) Ich, und du, Muse, wer bist du? Ich ein Fragezeichen, ich im Singular, Muse im Plural, sage m, schreibt sie, gibt return, control return und hebt auf S. 11 nicht neu, nicht mit ir (=sage mir), sondern mit nemo an: Töchter der Mnemosyne, Mnemotechnik, ROM.

auf blocksatz gesetzt und per Zeilenumbruch rache aus sprache extrahiert

Anrufung der Muse, wegen testosterongesteuerter Deutungsusurpatoren notgedrungen aufs Original zurückgeworfen, von den Rissen in Homers Textgewebe, in denen Frauen sang- und klanglos verschwinden, zurückverwiesen auf eine Sprache am Anfang der Verschriftlichung, eine Sprache, die berauscht ist von den ungewohnten, aufregend neuen, noch nicht selbstverständlichen Möglichkeiten, die das Aufschreiben bietet, eine Sprache, die das Feld der Buchstaben spielerisch erkundet (aaO. S. 84).

Das also erwidern, darauf reagieren ohne vorgeprägte Worte und Vokabellisten:

Eine andere art von übersetzung

aaO. S. 87f

PS/off topic: Barbara Köhler war wie ich Mitglied des VdÜ, sie war, wie ich, Jahrgang 1959, ich kannte sie nicht, wurde wegen des gemeinsamen Geburtsjahres auf sie aufmerksam, bin in Mirjam Bitters Nachruf förmlich darüber gestolpert. Barbara Köhler starb am 8. 1. 2021.

Es wäre vermessen, ihren vielschichtigen, anspielungsreichen, hochverdichteten, lyrisch, rhythmisch, sprachlich und gedanklich durch und durch durchgearbeiteten Text, hervorgegangen aus einer jahrzehntelangen Beschäftigung mit der Odyssee, in einem kurzen Blogbeitrag erfassen zu wollen. Er steht hier als Anregung, als Hinweis, als Referenz, als Reverenz. Das Buch ist offenbar leider nur noch antiquarisch oder in Bibliotheken zu bekommen.

Literatur

Barbara Köhler: Niemands Frau. Gesänge. Frankfurt am Main: Suhrkamp ²2012
Mirjam Bitter: Nachruf Barbara Köhler (1959-2021). in: Übersetzen 2/2021, S. 12
Georgina Paul (Hg.): An odyssey for our time : Barbara Köhler’s Niemands Frau. Konferenzschrift. Amsterdam [u.a.] : Rodopi 2013

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