Girolamo Baccelli, Florenz 1582

Girolamo Baccelli ereilte dasselbe Schicksal wie seinen Vorgänger Lodovico Dolce: Er starb, bevor seine Übersetzung der Odyssee gedruckt wurde. Bei Dolce kümmerte sich der Verleger um die Endredaktion. In Baccellis Fall war es der Bruder. Er schrieb auch die seinerzeit übliche Widmung an den Geldgeber, Francesco Medici.

Titelblatt von Baccellis Odyssee-Übersetzung mit dem expliziten Hinweis: in volgare fiorentino, und volgare heißt heute zwar vulgär, meinte damals aber lediglich Volkssprache, die Sprache der Bevölkerung von Florenz.

In dieser Vorrede, ja bereits auf dem Titelblatt, besteht er darauf, dass es sich um eine Übersetzung ins Florentinische handele. Das Italienische kannte damals wie das Deutsche keine Hochsprache, und welche der Mundarten das Rennen machen würde, war völlig offen. Darum wurde gerungen – Sprachpolitik war und ist Machtpolitik.

Girolamos Bruder Baccio Baccelli gehörte zu den ersten Mitgliedern der Accademia Fiorentina, für die Cosimo Medici 1541 die Schirmherrschaft übernahm. Doch während die Akademiemitglieder der florentinischen Mundart den Vorrang sichern wollten, setzte Cosimo auf das Toskanische und holte entsprechend weitere Akademiemitglieder nach Florenz.

Das gab natürlich Zoff mit den Männern der ersten Stunde. Sie fühlten sich zurückgesetzt und gründeten 1583 eine neue Gesellschaft, die Accademie della Crusca, die Kleie-Akkademie, getreu Petrarcas Wort vom Sprachspreu, den man vom Weizen trennen müsse. Sie existiert bis heute und gab von 1612 bis 1923 das erste Wörterbuch der italienischen Sprache heraus, das viele weitere Auflagen erlebte.

Sowohl die italienischen Ausgaben klassischer Texte als auch Italienisch-Wörterbücher sind (zumindest teilweise) von demselben Bestreben motiviert: das Florentinische oder Toskanische überregional durchzusetzen. Die drei Kronen der italienischen Literatur – Dante, Petrarca, Boccaccio – waren in diesem Prozess von entscheidender Bedeutung.

Über Girolamos Leben ist wenig bekannt. In Florenz geboren (um 1514) und gestorben (um 1580), hat er dort studiert und 1555 geheiratet. Die Übersetzung der Ilias hat er noch angefangen, aber nicht mehr fertigstellen können. In Florenz gibt es bis heute den Palazzo Baccelli; ob es sich um dieselbe Familie handelt, habe ich nicht herausgefunden.

Anders als Dolce, anders auch als die vielen lateinischen Übersetzungen seit der Initialzündung zweihundert Jahre zuvor übertrug Baccelli ein Vers-Epos. Ungereimt und mit einem Metrum, das die größtmögliche Nähe zu Homers Griechisch erlaubte.

In der Volkssprache war das offenbar möglich, allerdings wird der Text erheblich länger – fast doppelt so lang. Tommaso de Robertis (s.u., von ihm stammen viele Angaben in diesem Beitrag) rekonstruiert Baccellis Arbeitsweise: Der habe sich den Inhalt einer Strophe vergegenwärtigt und diesen dann in eine elegante, metrische Form gegossen.

Erstaunlicherweise hat sich Girolamos handschriftliche Ausarbeitung erhalten, mit Anmerkungen und Änderungen von anderer Hand, wahrscheinlich der seines Bruders. Tommaso de Robertis führt in seinem Aufsatz (S. 553-6, s.u.) zahlreiche Beispiele an. Hier nur soviel: In der Anrufung hatte statt stolti (Zeile 11) sciocchi (beide Wörter bedeuten dumm) gestanden und in der Zeile darunter recar statt cerca (das sieht nach Schreibfehler aus).

Narrami, o Musa, l’uomo accorto e saggio,
Che, poi che la sacrata alta cittade
Di Troia prese, lungamente errando
Cercò molti paesi, e vide, e’ntese
Di varie genti diversi costumi,
E molti affanni all’alma in mar sofferse,
Mentre che se co’suoi compagne amati
Sottragger dalla merte cerca in darno,
E ridur di sua patria a i cari lidi;
Nè l’alto suo desiocompir poteo;
Che stolti a se medesmi alta ruina
I compagni cercar, che mal accorti
Gli armenti si mangiar del Sol lucente,
Che lor del ritornare il giono tolse.
Questo; o sacrata Dea figlia de Giove,
Ridirne in parte almen non ti sia greve.

L’Odissea di Omero tradotta in volgare Fiorentino da M. Girolamo Baccelli. Tomo Primo. Livorno: Tommaso Masi e Comp.° 1805 / MDCCCV. Neudruck S. 9, digitalisiert unter https://archive.org/details/bub_gb_d3oYtgUDD8cC/page/n11/mode/2up?view=theater, Abruf 2.3.22
Derselbe Text im Erstdruck, die letzten drei Zeilen sind allerdings auf der nächsten Seite.

Literatur

Tommaso de Robertis: Odysseus goes to Florence. Notes on the first italian Translation of Homer’s Odyssey (1582). PDF online abrufbar unter https://www.academia.edu/65200323/Odysseus_goes_to_Florence_Notes_on_the_first_Italian_translation_of_Homers_Odyssey_1582_, Abruf 2.3.22

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