Heute war ich in einem Archiv mit einem langen Namen: Archiv der Abteilung für die Geschichte der kroatischen Literatur des Instituts für die Geschichte kroatischer Literatur, Theater und Musik der Kroatischen Akademie der Wissenschaften und Künste. Es ist in einem ehemaligen Stadtpalast in der Oberstadt untergebracht, trägt (wie viele Gebäude hier) vom letztjährigen Erdbeben noch deutliche Spuren und bietet zur Ostseite einen herrlichen Blick über einen der ältesten Teile der Stadt.
Dort liegt ein Teil des Nachlasses – mit der Archivnummer HR-AHAZU-KN-176 – von Janko Polić Kamov, und die maschinelle Abschrift, die in den 1950er Jahren erstellt wurde, um den Roman Isušena kaljuža über vierzig Jahre nach dem Tod des Autors zu veröffentlichen.
Die Schreibmaschinenfassung von Isušena kaljuža wurde mal mit schwarzem, mal mit blauem Farbband auf dünnes Papier, also vermutlich mit zwei Durchschlägen auf einer mechanischen Schreibmaschine getippt. Das mit der mechanischen Schreibmaschine schließe ich aus der unterschiedlichen Anschlagstärke, der Art, wie die Anführungszeichen hoch- und tiefgestellt wurden und dergleichen mehr. Elektrische Schreibmaschinen schreiben deutlich gleichmäßiger.
Verantwortlich für die Edition der Gesamtausgabe von Kamovs Werken war seinerzeit Dragutin Tadijanović, der einerseits mit eigenen Texten und andererseits als Herausgeber historisch bedeutsamer kroatischer Autoren zur Literatur seines Landes beitrug. Ich weiß nicht, ob er oder jemand anders, jedenfalls finden sich auf den ersten Seiten der Abschrift noch redaktionelle Eingriffe, die in der gedruckten Ausgabe überwiegend nicht umgesetzt wurden – die einzige Änderung im folgenden Bild, die übernommen wurde, ist das gestrichene i in osvijetljuje.
Es war – nehme ich an – der Versuch, den Text stilistisch näher an die eigene Zeit heranzuholen, die – wie mir von mehreren befugten LeserInnen versichert wurde – heute als sperrig und ungeschickt empfundene Ausdrucksweise Kamovs geschmeidiger zu gestalten. Aber der Versuch wurde nach wenigen Seiten aufgegeben und auch nicht in der Druckfassung berücksichtigt. Das war eine sehr gute Entscheidung, denn es wäre in der Tat ein viel zu weitgehender Eingriff in den Text gewesen. Auch wenn ich den Impuls, wie das folgende Beispiel zeigen soll, nur zu gut verstehen kann.
Denn gleich auf der ersten Seite sollte ein ganzer Satz gestrichen werden, und der Satz hat mir wegen seines schrägen Inhalts tatsächlich beim Übersetzen ziemliche Probleme gemacht. Das eingefügte und wieder durchgestrichene „na“ entspricht genau dem, wie ich den Satz zunächst selbst automatisch korrigiert hatte: Er spuckte auf die Erde. Jetzt steht da: Er spuckte Erde, was zumindest auf den ersten Blick keinen rechten Sinn gibt. Aber es steht eben so im Original. Und bei Kamovs origineller Ausdrucksweise und seinen teils abseitigen Vergleichen weiß man nie, ob er sich verschrieben oder – diszipliniert, wie seine Reinschriften sind und in Zeiten vor der allgemeinen Verfügbarkeit von Schreibmaschinen auch sein mussten, wollte ein Autor nicht schockweise Lesefehler des Setzers riskieren – etwas dabei gedacht hatte. Hier zum Beispiel kann ich mir vorstellen, dass er das Schicksal seines Helden andeutet: Aus Erde bist du, zu Erde wirst du.
Insofern war der Besuch in dem Archiv für mich nicht nur erhellend, er war auch äußerst tröstlich … und bestätigend!
Das vorige Bild zeigt, jedenfalls laut Beschriftung der Archivunterlagen, Janko Polić Kamovs Schrift. Es handelt sich offensichtlich um eine Reinschrift für die Drucklegung, denn sie ist durchgängig über Dutzende von Seiten genau so gleichmäßig und (selbst für mich!) problemlos leserlich. Weder Stimmungen noch Ermüdungserscheinungen sind zu erkennen, nur ein stoisches, diszipliniertes Aufs-Papier-Bringen eines vermutlich vorher mit mehr persönlichen Akzenten geschriebenen Textes. Die Zeilen sind ganz gerade und die Abstände sehr gleichmäßig, obwohl das Papier zu dick sein dürfte, um Linienpapier darunter zu legen.
Das letzte Beispiel stammt aus seinem Todesjahr 1910, die Schrift ist auffallend anders, vielleicht, weil es ein Theaterstück ist und der Autor bei der Reinschrift eher Theaterleute als Setzer im Sinn hatte, vielleicht, weil es Kamov schon sehr schlecht ging.
Der Ausschnitt stach mir quasi mit einem Stichwort ins Auge, das auch in Isušena kaljuža vorkommt und mir ebenfalls einiges Kopfzerbrechen abforderte: „zakon hereditacije“ – Gesetz der Erbfolge. Das sei doch aus der Mode gekommen, heißt es hier im Drama: „Deine Haushygiene wurde vor dreißig Jahren geschrieben, als sie überall nach Gesetzen suchten: in Kunst, Psychologie und Krankheit – in allem, was kein Gesetz hat, weil es menschlich und geistig ist.“ Die Hygiene ist an der Stelle wohl ein falscher Freund, kućna higijena muss eher mit Haus- oder besser noch Familienordnung übersetzt werden, und für die Kopfwehstelle in dem Roman gibt das Zitat aus dem Schauspiel leider wenig her. Hier ist tatsächlich die Reihenfolge gemeint, in der Verwandten ein Erbe zufällt, im Roman geht es um einen weiter gespannten historischen Bogen.
Am Montag darf ich in der National- und Universitätsbibliothek das Manuskript von Isušena kaljuža aus Polićs Nachlass einsehen. Darauf bin ich nun sehr gespannt.
Übrigens bin ich und nicht zu knapp beeindruckt von der Geschwindigkeit, mit der die Mitarbeiter von Archiv und Nationalbibliothek meine Anfragen beantwortet haben – nach kaum einer Stunde war die Antwort da. Chapeau!