Sie gehören verschiedenen Generationen an, haben ihre Übersetzung der Odyssee aber kurz hintereinander – Bodmer 1778, Voß 1781 – erstveröffentlicht. Beide im Selbstverlag, was bei Bodmer nicht auf den ersten Blick sichtbar ist, weil Orell und Compagnie als Verleger genannt sind – bloß ist Orell sein Neffe und er selbst einer der Compagnons.
Johann Jakob Bodmer (1698-1783), Schweizer, Pfarrerssohn, Mitherausgeber der Moralischen Wochenschrift Die Discourse der Mahlern, streitbarer Zeitgenosse, der sich mit dem damaligen deutschen Literaturpapst Gottsched anlegte und in Zürich für eine vernünftige öffentliche Bibliothek einsetzte, ein Mann der Aufklärung, in dessen Haus Klopstock, Goethe, Wieland und viele andere Schriftsteller verkehrten, mit Interesse für mittelalterliche Literatur ebenso ein Wegbereiter der Romantik, aber nach allem, was ich mir angelesen habe, nicht zuletzt einer, der mehr als Gastgeber (sprich: Netzwerker) und Theoretiker wirkte denn mit eigenen literarischen Werken.
Neben seinem weltoffenen, unermüdlich regsamen Wirken als Anreger und Förderer war es B.s Tätigkeit als Vermittler, sei es durch die Übersetzung fremdsprachiger Literatur, u.a. John Miltons und Homers, sei es durch die Herausgabe vergessener ma. Texte, so v.a. der Manessischen Handschrift und von Teilen des Nibelungenlieds, aber auch etwa von Martin Opitz, was ihn zu einer der herausragenden Gestalten des 18. Jh. in der Schweiz machte.
Böhler, Michael: „Bodmer, Johann Jakob“, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 30.03.2021. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011575/2021-03-30/, konsultiert am 04.01.2022.
Johann Heinrich Voß (1751-1826), Mecklenburger, gesellschaftlicher Aufsteiger, Studium u.a. der Gräzistik in Göttingen dank einiger Gedichte, die er beim Göttinger Musenalmanach eingereicht hatte. Schulrektor, Hofrat, Universitätsprofessor, Akademiemitglied. Eifriger Netzwerker, angefangen vom Göttinger Hainbund (einem Dichterclub) über die Freimaurer (die er empört verließ) bis hin zur gezielt angestrebten Bekanntschaft mit Claudius, Herder, Wilhelm von Humboldt, Jacobi, Gleim, Goethe, Klopstock, Wieland … Er reagierte allergisch auf die reaktionären Tendenzen der deutschen Spätromantik. Wie Bodmer ein streitbarer Zeitgenosse und weit mehr für seine Übersetzungen als für seine eigenen Schriften bekannt.
Generationen deutscher Gymnasiasten sind mit seiner Odyssee, seiner Illias aufgewachsen. „Ihr sprachschöpferischer Einfluss auf das Deutsche wird mit Martin Luthers Bibelübersetzung verglichen“, steht im deutschen Wikipedia-Artikel „Odyssee“, leider ohne Quellenangabe. Bodmers Übersetzung hatte nicht entfernt dieselbe Strahlkraft.
Nur drei Jahre trennen folgende Fassungen:
Gieb mir Muse, den Mann voll weiser liste zu singen,
Der so lange herumgewallt, nachdem man die mauern
Trojens geschleift; der länder und staaten der sterblichen menschen
Und die verschiedenen sitten gesehn. Sein fühlendes herz hat
Auf dem stürmischen meer viel jammer erlitten, sein leben
Hätt‘ er für nichts geachtet, um seine gefährten zu retten,
Und nach hause zu bringen; der wunsch mislang ihm; sie hatten’s
Ihrer thorheit zu danken, daß sie nicht lebten; die blöden
Assen die stiere, dem Gott der sonne geweiht; er versagte
Ihnen den tag des wiederkommens bey ihren geliebten.
Laß mich, o tochter Jovis! von diesen dingen erzählen.
Bodmer 1778
Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes,
Welcher so weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerstörung,
Vieler Menschen Städte gesehn, und Sitte gelernt hat,
Und auf dem Meere so viel‘ unnennbare Leiden erduldet,
Seine Seele zu retten, und seiner Freunde Zurückkunft.
Aber die Freunde rettet‘ er nicht, wie eifrig er strebte,
Denn sie bereiteten selbst durch Missetat ihr Verderben:
Toren! welche die Rinder des hohen Sonnenbeherrschers
Schlachteten; siehe, der Gott nahm ihnen den Tag der Zurückkunft,
Sage hievon auch uns ein weniges, Tochter Kronions.
Voß 1781
Die lasse ich hier erst einmal unkommentiert wirken. Fortsetzung folgt.