Das Vorwort zum Band 110 der Velhagen & Klasings Sammlung deutscher Schulausgaben gibt den Inhalt von Odyssee und Ilias zusammengefasst wieder. Daran schließen sich Auszüge aus beiden Epen an. Der Bielefelder Verlag beauftragte Oskar Hubatsch mit einer Neuübersetzung, welche die Leser – Gymnasialklassen im Deutschen Kaiserreich – nicht überfordern durfte.
Erstauflage 1890, letzte (gemäß meiner kurzen Recherche im KVK) Auflage 1926: insgesamt 39 Auflagen. Dazu kommt die Einzelausgabe der Odyssee, die bis 1929 in Hubatschs Übersetzung 215.000 mal gedruckt wurde. Parallel verkaufte der Verlag noch die Übersetzung von Johann Heinrich Voß (Band 66 derselben Reihe).
Vergleicht man die Anrufung in Voßs und Hubatschs Fassung, wird schnell Hubatschs Abhängigkeit von seinem Vorgänger deutlich: Im Grunde hat er Voß‘ Hexameter für eine mit gebundener Sprache nicht vertraute, ungeduldige Leserschaft näher an den normalen Satzbau geholt und die Lexik dem Zeitgeschmack angepasst (Helden, Heil).
Vielleicht hat Walter Benjamin in seiner Berliner Schulzeit diese Odyssee vorgesetzt bekommen. Vielleicht ist er Herrn Hubatsch in Charlottenburg sogar über den Weg gelaufen. Den Widerwillen gegen die auf vermeintliche Schülerbedürfnisse zurechtgestutzte Klassiker-Literatur schrieb er sich später anlässlich seiner Baudelaire-Übersetzung von der Seele.
Wie jedes andere Kunstwerk, damit beginnt die Abrechnung, darf die Übersetzung nicht auf die Rezipienten schielen. Tut sie es doch, insistiert Benjamin einen Absatz weiter, ist es eine schlechte Übersetzung.
Hubatschs Übersetzung ist weitgehend vergessen. Benjamins Aufsatz – Charles Baudelaire, Tableaux Parisiens. Deutsche Übertragung mit einem Vorwort über die Aufgabe des Übersetzers, französisch und deutsch, Verlag von Richard Weißbach, Heidelberg 1923 – wird bis heute zitiert und gilt als Klassiker der Übersetzungstheorie.
Literatur
Walter Benjamin: Die Aufgabe des Übersetzers. In: Gesammelte Werke IV/1, S. 9-21, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1972