PEN Berlin: Der erste Kongress

Mittags im noch fast leeren Festsaal Kreuzberg: Soundcheck Muff Potter, deren abendliches Konzert zusätzliche BesucherInnen lockte

ging am Freitag über die Bühne mit drei Podiumsdiskussionen à vier TeilnehmerInnen plus ModeratorIn plus Keynote plus Spendenaufruf plus … Im Folgenden ein paar Impressionen von der Veranstaltung.

Allen voran die Aktion Feuerwehrautos für Charkiw – weniger zum Brände löschen. Feuerwehren müssen Wasser und Strom für den Fall der Ausfälle dabeihaben und sind damit sehr geeignet, um in der Ukraine zu helfen: Sie verfügen über große Tanks und Generatoren. Ralf Bönt ist der Initiator, der PEN Berlin stellt die Organisation, sechs großzügige (meist) Firmenspenden lieferten den finanziellen Grundstock, und ich würde gern über meine eigene hinaus den einen oder die andere zu Spenden anregen … Die Aktion läuft bis 31.12.2022.

Eva Menasse hielt die Eröffnungsrede, aber die habe ich ebenso verpasst wie das erste Panel zur „Poesie des Scheiterns – Fuck up hour“ – ich stand zu der Zeit am Einlass und habe mit drei KollegInnen Karten verkauft.

Zweites Panel

Michel Friedman als Moderator, Tomer Gardi (der kurzfristig für Tanja Maljartschuk eingesprungen war), Ursula Krechel, Khuê Phạm, Meral Şimşek und Deniz Yücel (der für Meral dolmetschte) beim Panel „Gewalt, Erinnerung, Literatur“

Der Trick sei, so das Kongress-Motto, zu reden, aber – über Gewalt, über erlittene Gewalt zu reden ist für viele direkt Betroffene schwer. Sei es aus Scham, sei es aus Selbstschutz oder weil niemand danach fragte oder … Aus welchen Gründen auch immer. Auch für indirekt Betroffene ist es oft heikel, unausgesprochenen Erfahrungen ihrer Familienmitglieder nachzuspüren, nachzufragen, nachzuhaken. Von Blockade und Ablehnung bis zu Dankbarkeit und Erleichterung ist alles drin. Khuê Phạm hat es riskiert, wollte die Keller unter der Realität erforschen, schon weil das Rätselraten über gewisse Ticks bei einigen Verwandten Teil ihrer Berliner Kindheit war. Wenn nicht darüber gesprochen wird, so ihr Fazit, schreibt sich Geschichte in Familien fest. Der Trick ist zu reden …

Ursula Krechel fand für sich einen anderen Weg, den Weg in Archive, genauer in die Wiener Holocaust Library, die u.a. Zeitzeugenberichte sammelt, viele noch unveröffentlicht. Diese Dokumente sind eine Chance, den Opfern nahezukommen, ihre Vergangenheit zu würdigen, ihre Würde zu achten, die Erinnerung an ihr Schicksal wachzuhalten.

Meral Şimşek lebt seit wenigen Monaten in Berlin und ist damit die erste verfolgte Autorin, deren Flucht und Aufenthalt in Deutschland vom PEN Berlin unterstützt wird. In ihrer Heimat droht der Kurdin über ein Jahr Gefängnis, weil sie „terroristische Propaganda“ verbreitet haben soll. Ihre Gedichte und Lyrikpreise wertete das türkische Gericht als Beweise – Literatur als Verbrechen, wie Michel Friedman trocken anmerkte. Meral Şimşek erfuhr Gewalt nicht nur in ihrer Familie, sondern am eigenen Leib. Und will die Erinnerung wachhalten, denn: Staaten mögen keine Erinnerung, wie sie sagt.

Drittes Panel

Wer zuerst schießt – was (uns) die Freiheit des Wortes bedeutet: Thea Dorn (Moderation), Jan Fleischhauer, Manja Präkels, Ijoma Mangold und Karen Köhler diskutierten kontrovers über die Grenzen der Meinungsfreiheit,

Da kam Leben in die Bude – was darf man sagen, wie muss man reden, was verletzt, was beschwert, was tun, bevor man die Fresse poliert bekommt, weil das Gegenüber nicht einsieht, sich mit Argumenten abzuquälen? Kuschen, die andere Wange oder Fersengeld? Andere Baustelle, selbe Diskussion: Wie den Spagat zur inklusiven Sprache leisten? Und muss das immer und ständig?

Jan Fleischhauer brach eine Lanze für Polemik und trauerte der Beleidigungskultur der 1920er Jahre nach, Manja Präkels berichtete aus der ostdeutschen Provinz, in der man die FFP2-Maske vom Gesicht gerissen bekommt, und Ijoma Mangold plädierte für mehr Biss und weniger Empfindlichkeit. Thea Dorn stellte gegen Ende noch den Fall der vom Münchener Metropoltheater wegen Antisemitismus-Vorwürfen abgesetzten Inszenierung der „Vögel“ von Wajdi Mouawad zur Diskussion, doch dazu mochte sich mangels Detailkenntnis niemand konkret äußern.

Festrede

Ayad Akhtar, Präsident des PEN America, während seiner Rede. Er sprach auf Englisch, die deutsche Übersetzung wurde eingeblendet, und der weiße Fleck auf der Stirn, der aussieht wie ein schlecht sitzendes Toupet, ist lediglich ein einigermaßen unvorteilhafter Effekt der Projektion.

Um ein durchaus verwandtes Thema kreiste die Rede des eigens für diesen Kongress aus den USA eingeflogenen Präsidenten des amerikanischen PEN, mit der das Abendprogramm eingeläutet wurde. Akhtar zeigte sich besorgt über eine Entwicklung der letzten Jahre: Es gehe längst nicht mehr nur um die bedrohte Meinungsfreiheit in Diktaturen und Autokratien jeder Couleur, nein, zunehmend müsse um die freie Meinungsäußerung in den USA gekämpft werden, und das gleich an mehreren Fronten.

Seine Argumentation stieß keineswegs auf einhellige Zustimmung.

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