Schaidenreissers Odyssea

Der blinde Homer haucht seinen Nachfolgern Geist ein, dargestellt als gebündelte Flammenzungen. Der Empfänger ganz rechts repräsentiert Schaidenreisser. Holzschnitt. Nach Friedrich Weidling (Hg., Kommentar): Schaidenreissers Odyssea. Neudruck Leipzig: Avenarius 1911

Die Drucke (Augsburg 1537, 1538; Frankfurt 1570) der ersten vollständigen deutschen Odyssee enthalten neben dem eigentlichen Text

  • Widmungsrede,
  • Vorrede,
  • Lebensbild Homers, aus lateinischen Quellen zusammengeschrieben,
  • Inhaltsangabe (summarium), ebenso wird jedem Buch eine Kurzübersicht (argumentum) vorangestellt,
  • zur Illustration ein paar mittelmäßige Holzschnitte (s.o.),
  • der Hinweis auf das kaiserliche Druckprivileg, das vor Raubdrucken schützen soll,
  • und Marginalien mit Erläuterungen zu Realien oder Kommentaren.
Der Beitrag stützt sich auf Winfried Zehetmeiers Dissertation über Schaidenreissers Odyssea (Literaturangabe siehe Zitat weiter unten). Lediglich die Formulierung ist von mir.

Zehetmeier macht an den Marginalien seine These (die er wesentlich zurückhaltender formuliert) fest, dass deutsche Humanisten vor allem Schulmeister waren mit einem ausgeprägten Hang, den moralischen Zeigefinger zu erheben und mit ihrem angelesenen Wissen zu strunzen …

Odysseus galt ihnen als Vorbild, als mutiger, kluger Krieger mit untadeligem Betragen von höchster Sittlichkeit. Seine lügenbewehrte Schlitzohrigkeit fiel nicht weiter ins Gewicht.

Wie damals gängige Praxis, nutzte Schaidenreisser mehrere lateinische Übersetzungen des griechischen Textes, konkret zwei Vorlagen für seine eigene: die von Raffaello Maffei da Volterra (Köln 1534, zuerst Brescia 1497) und die von Maxillus (Straßburg 1510, eigentlich Griffolini).

Maxillus übersetzt zur Gänze, Maffei überwiegend in Prosa, Schaidenreisser folgt letzterem auch darin.

Maffei erklärt in der Vorrede:

Ich mache es kürzer als Homer, weil ich die beinahe nicht zu zählenden Epitheta, die bei ihm oft wiederholt werden und gewissermaßen andauernd vorkommen, weggelassen habe. Was bei ihm hinzugefügt ist oder nur als Schmuck dient, das ekelt uns an und scheint den Stil nur aufzubauschen.

zitiert nach und in der Übersetzung von Winfried Zehetmeier: Simon Minervius Schaidenreisser. Leben und Werk. Inaugural-Dissertation, Ludwig-Maximilians-Universität München, 1961, S. 51

Und Schaidenreisser strafft seine Vorlagen noch einmal. Wieviel Homer da wohl übrig blieb?

Ein bisschen Lyrik findet sich dann doch. Schaidenreisser streut paarweise gereimte Knittelverse ein, immer dort, wo bei Maffei Hexameter stehen. Zu diesen seltenen Passagen zählt die Anrufung der Muse.

Um sie zu zitieren, werde ich dem Rara-Lesesaal der StaBi einen Besuch abstatten.

In einem Aufsatz über eine frühe italienische Übersetzung der Odyssee (der Beitrag dazu folgt, aber erst in ca. zwei Monaten) fand ich folgende Aussage:

The earliest vernacular translation of the Odyssey seems to have been that of Simon Schaidenreisser, who in 1537 published a Bavarian version of this poem in Augsburg.

Tommaso de Robertis: Odysseus goes to Florence. Notes on the first Italian translation of Homer’s Odyssey (1582), S. 548 Anm. 3. PDF-Download unter https://www.academia.edu/65200323/Odysseus_goes_to_Florence_Notes_on_the_first_Italian_translation_of_Homers_Odyssey_1582_, Abruf am 2.3.22

Allerdings habe ich eine frühere italienische (Erst-) Übersetzung gefunden als die, die de Robertis behandelt – angesichts fehlender umfassender Bibliografien bin ich sehr zurückhaltend, was solche Einschätzungen angeht. Es kommt, finde ich, auch überhaupt nicht darauf an, höchstens insofern, als die erste nicht von einer vorherigen abgeschrieben sein kann.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert