Ich bin mit der Rohübersetzung von Jergovićs Sarajevo Marlboro remastered durch. So arbeite ich: einmal durchübersetzen, der so entstandene Text strotzt vor Fehlern, Missverständnissen, Verschreibungen, falschen Metaphern und was man sich sonst noch an Unzulänglichkeiten vorstellen mag, aber ich habe eine Vorstellung, worauf der Text hinzielt, und Erfahrungen gesammelt, wie ich seinen Ton, seinen Duktus, seine stilistischen Eigenarten einfange, und damit die Voraussetzungen für die Feinarbeit.
Aber eben auch nur die Voraussetzungen; meist bin ich in diesem Stadium mit dem ahnungslosen Autor, seltener Autorin, noch in einer Art Wortfederball begriffen, einem Schlagabtausch der Klänge: Ball und Schläger erzeugen ja ganz unterschiedliche Geräusche, je nachdem, wo der Ball auf dem gespannten Netz auftrifft oder mit wie viel Druck der Schläger durch die Luft dringt. Und das muss in beiden Sprachen gleich sein; das ist es jedenfalls, was ich anstrebe.
Bei dem aktuellen Projekt kommt eine spezifische Sache hinzu. Miljenko Jergović hat seinen 1994 erstveröffentlichten Erzählband Sarajevski Marlboro noch einmal geschrieben. Einfach noch einmal geschrieben. So geschrieben, wie er heute schreibt – barocker, persönlicher, fließender. Furchtloser. Ich habe also nicht nur den aktuellen Text zu berücksichtigen, sondern auch den von vor dreißig bzw. fünfzehn Jahren.
Denn Sarajevo Marlboro habe ich vor fünfzehn Jahren für den Schöffling Verlag neu übersetzt, es ist als E-Book noch lieferbar. Jergović schrieb das Buch noch einmal: Das heißt, er schrieb gewissermaßen kein neues Buch, sondern das alte anders. Es ist ein eigenwilliges Experiment: Die Tatsache, dass er wie alle anderen Menschen zwischen 1993 und 2023 dreißig Jahre älter wurde, dass er genau so lange in Zagreb statt in Sarajevo wohnt, dass die Belagerung seiner Geburtsstadt vor inzwischen achtundzwanzig Jahren beendet wurde – all das fließt in den Text ein. Ansonsten hält er sich streng an die Vorlage: Prolog, Hauptteil, Epilog. Sogar bis in Details hinein – die letzte Geschichte des Hauptteils hat in beiden Fassungen Saxophone zum Gegenstand, und der Epilog –
Aber ich hole zu weit aus. Eigentlich wollte ich den ersten Halbsatz des Epilogs erörtern, der mir Kopfzerbrechen macht.
U sobi iz koje sam izašao
Miljenko Jergović: Trojica za Kartal. Sarajevski Marlboro remastered. Zagreb: Bodoni 2022, S. 263 u.ö.
Wörtlich: In dem Zimmer, aus dem ich gegangen bin
Naheliegend und „deutscher“: In dem Zimmer, das ich verließ
Das Problem mit dieser Lösung ist, dass der Erzähler dort etwas zurückgelassen hat. In dem Zimmer, das ich verließ, ließ ich … zurück. Vergiss es. Nicht nur wegen der Wortwiederholung, auch weil die Aufzählung so lang ist, dass das arme „zurück“ völlig abgeschlagen am Ende des Satzes zu stehen hätte.
Also kann er doch gleich das Zimmer zurücklassen: In dem Zimmer, das ich zurückließ, standen …
Oder ich suche ein anderes Wort für zurücklassen: In dem Zimmer, das ich verließ, verblieben …
Oder ich ändere die Satzkonstruktion, das wäre eine heikle Operation: Als ich aus dem Zimmer ging, waren dort noch …
Wenn ich nur für diesen ersten Halbsatz des Epilogs eine Lösung finden müsste, wäre es leichter. Aber der Halbsatz zieht sich wie eine Gebetsformel über mehrere Seiten, und das muss ich beibehalten. D.h. ich brauche eine Lösung, die an allen Stellen funktioniert.
Aber das nachvollziehbar zu machen, sprengt endgültig den Rahmen eines Blogbeitrags. Mal ganz abgesehen davon, dass ich noch keine Lösung habe …